Balint-Gruppen

Balint-Gruppen sind im klassischen Verständnis Arbeitsgruppen von ca. acht bis zwölf Ärztinnen bzw. Ärzten, die sich unter der Leitung eines erfahrenen Psychotherapeuten oder ausgebildeten Balintgruppenleiters regelmäßig treffen, um über „Problempatienten“ aus ihrer Praxis zu sprechen. Das Ziel ist die Arzt-Patienten-Beziehung zu verbessern, indem das Verständnis für den Patienten zunimmt. Daraus kann eine angemessene und vielleicht optimierte Behandlung resultieren.

Die Methode wurde nach Michael Balint, einem Psychiater und Psychoanalytiker ungarischer Herkunft benannt. Balint hatte nach dem Zweiten Weltkrieg an der Londoner Tavistock Clinic zunächst Fallkonferenzen mit Sozialarbeitern und später mit Hausärzten durchgeführt. In den Konferenzen konnten die Teilnehmenden lernen, die unbewussten Prozesse in der Arbeit mit Patienten vor dem Hintergrund psychoanalytischer Theorien besser wahrzunehmen. 1954 berichtete er im British Medical Journal über seine neue Methode der ärztlichen Weiterbildung. 1957 erschien sein Buch über seine Beobachtungen mit dem Titel „The doctor, his patient and the illness“ (Der Arzt, sein Patient und seine Krankheit).

Das wichtigste methodische Element der Balint-Gruppen-Arbeit ist der freie Bericht eines Gruppenteilnehmers über ein Fallbeispiel bzw. eine Arzt-Patienten-Begegnung. Es werden vor allen Dingen Beziehungen vorgestellt, in denen Störungen auftreten, die das ärztliche Handeln und den Heilungsverlauf beeinträchtigen. Es sind oft Patienten-Kontakte, die den Arbeitsalltag erheblich belasten und viel Raum einnehmen. Die Gruppe untersucht dann gemeinsam im freien kollegialen Gespräch, in freier Assoziation und Fantasie die Arzt-Patient-Beziehung. „Unser Hauptziel war die möglichst gründliche Untersuchung der ständig wechselnden Arzt-Patient-Beziehung, das heißt das Studium der Pharmakologie der Droge „Arzt“, erklärte Balint. Er verglich also die Wirksamkeit des Arztes mit einem Arzneimittel, das erwünschte und unerwünschte Wirkungen haben kann.

Dem Konzept liegt das psychodynamische Krankheitsverständnis der Psychoanalyse zugrunde. Danach wird die Aufmerksamkeit besonders auf die Phänomene der Übertragung, Gegenübertragung und Regression gerichtet. Zentrale Fragen der Balint-Arbeit sind also: „Was macht der Arzt mit dem Patienten?“, „Was macht der Patient mit dem Arzt?“, „Welche Gefühle löst er im Arzt oder in der Ärztin (und stellvertretend in den übrigen Gruppenteilnehmern) aus?“

Aus dieser Beziehungsdiagnose werden Rückschlüsse auf unbewusste Konflikte gezogen, die Patient und Arzt „mitbringen“. Insbesondere die Bewusstmachung der Gegenübertragungsgefühle (z.B. Abneigung, Ärger, Desinteresse, verstärktes Interesse, Mitleid, Hilflosigkeit, usw.) geben wertvolle diagnostische Hinweise, die hilfreich in die weiteren Kontakte mit dem Patienten einfließen können. Durch eine kontinuierliche Balint-Arbeit gibt es Entlastung und zum anderen werden vielleicht neue Perspektiven sichtbar, die den Umgang und Zugang im Patienten-Kontakt erleichtern.

Alle ärztlich tätigen Kollegen, die mit Patienten arbeiten, unabhängig von der Fachrichtung, können an einer Balintgruppe teilnehmen. Eine Balintgruppe findet günstigerweise 1-2 mal im Monat statt und dauert 90 Minuten. Für die Teilnahme wird ein Honorar berechnet. Die Balintgruppe ist in de Regel zertifiziert, so dass dadurch auch Fortbildungspunkte erworben werden können.

Balint-Gruppen sind heute allgemein ein Element in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Psychotherapeuten (z.B. Psychiater, Psychotherapeuten, Gynäkologen, Allgemeinmedziner, Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“, Kassenärzte, die an der psychosomatischen Grundversorgung teilnehmen). Die Methode kann in modifizierter Form als Supervisionsmethode in anderen Bereichen des Gesundheits-, Sozial- und Erziehungswesens eingesetzt werde